Haushaltsrede von Hübers: „Der Gesetzesentwurf ist unverantwortlich“
Am Mittwochabend tagt der Bocholter Stadtrat zum letzten Mal im Jahr 2020. Traditionell werden bei der Dezember-Sitzung die Haushaltsreden der einzelnen Fraktionen vorgetragen. Aufgrund der anhaltenden Covid19-Pandemie wurde es den Parteien freigestellt, ob sie ihre Rede halten möchten oder nicht.
Dieter Hübers, Fraktionsvorsitzender der Stadtpartei, verzichtet auf sein Rederecht und reichte seine Rede nur zur Veröffentlichung im Protokoll ein. Nachfolgend können Sie seine formulierte Rede im Wortlaut nachlesen:
„Sehr geehrter Herr Bürgermeister,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
die Kommunalwahlen sind vorbei und die Karten sind neu gemischt worden.
Vor uns liegen große Aufgaben, große Herausforderungen. Diese wollen und müssen wir gemeinsam annehmen und erledigen. Das erwarten unsere Bürgerinnen und Bürger von uns. Dabei dürfen wir nicht so wie bisher weitermachen.
Mir fällt seit geraumer Zeit auf, dass trotz Corona das Thema Investitionen unverändert behandelt wird. Das heißt, es gibt zu keinem Investitionsvorhaben eine kritische Anmerkung zur Finanzierung. Wir geben Geld aus, als hätten wir es nur mit vollen Kassen zu tun. Das kann sich aber schnell ändern, wenn uns Corona über einen längeren und unübersichtlichen Zeitraum beschäftigt und damit auch belastet. Aktuell brechen die Einnahmen ein und die Kosten erhöhen sich dramatisch. Das ist normalerweise ein Horror für jeden Kämmerer. Aber wie soll er auf diese außergewöhnliche Situation vorbereitet und sensibilisiert werden, wenn die Landesregierung mit außergewöhnlichen, in der Privatwirtschaft als kriminell bezeichneten Maßnahmen, den Weg vorzeichnet. Es ist ein Skandal, was die Landesregierung den Kommunen vorgibt. Für Bocholt bedeutet das, dass wir für 2021 einen Verlust 12,8 Mio. Euro prognostizieren, aber nur 3,6 Mio. Euro Verlust ausweisen müssen.
Wenn wir die Differenz, also 9,2 Mio. Euro von der Landesregierung tatsächlich bekämen, wäre das der richtige Weg, die Kommune Bocholt zu unterstützen bzw. zu entlasten. Der Deutsche Städtetag macht sich aktuell für so eine Maßnahme stark. Die Regierung zahlt aber nicht und damit bleibt die Liquidität mit dem kompletten Verlust belastet, aber die Bilanz zeigt für jeden Außenstehenden ein positives Bild.
Ich halte diesen Gesetzentwurf für einen unverantwortlichen Umgang mit dem Bilanzrecht. Deshalb nochmal einen Appell an den Kämmerer: lassen Sie sich nicht von diesen Bilanzjongleuren beeinflussen und sorgen Sie als Kämmerer in Ihren letzten Monaten Ihrer Amtszeit dafür, dass die Investitionswünsche verantwortungsvoll bewertet werden.
Die Bundesregierung nimmt aktuell viele 100 Mrd. Euro Schulden zur Krisenbekämpfung auf. Damit soll auch die stark in Mitleidenschaft gezogene Wirtschaft unterstützt werden. Aber ein Großteil dieses Geldes fließt auch in Projekte, die mit Corona nichts zu tun haben. Aber die Bundesregierung vermittelt den Eindruck, wie das der Bund der Steuerzahler festhält, wer jetzt nicht ordentlich zugreift, hat später das Nachsehen. Damit wird jegliche sorgsame und nachhaltige Haushaltspolitik zu Grabe getragen, die Schuldenbremse unterlaufen und Sparmaßnahmen für null und nichtig erklärt. Damit gehen auch die ordnungspolitischen Grundsätze verloren.
Ich halte es für wichtig auf die bundespolitischen Entwicklungen hinzuweisen, aber mit dem deutlichen Hinweis, dass das System der Akteure sowohl in Berlin als auch in Düsseldorf von Bocholt nicht übernommen werden muss und darf.
Herr Bürgermeister, ich habe zu Beginn meiner Rede gesagt, dass die Karten neu gemischt worden sind. In der Vergangenheit sind zu viele Themen, die die Stadtpartei angestoßen hat, im Sande verlaufen, weil die Verwaltung, aber auch ein Großteil der Parteien unsere Überlegungen nicht weiter verfolgt bzw. diskutiert haben. Ein fortschrittliches Verhalten sieht anders aus.
Zu Beginn der jetzigen Legislaturperiode haben wir alle die Chance und Möglichkeit, mit Ihrer Unterstützung Bocholt nach vorne zu bringen.
Herr Bürgermeister, Sie sind erst wenige Wochen im Amt und schon hinterlassen Sie den Eindruck, als wären Sie schon viele Jahre mit der Entwicklung wichtiger Themen unserer Stadt vertraut. Ich schätze Menschen sehr, die entscheidungsfreudig sind.
Aktuell müssen wir jedoch zur Kenntnis nehmen nehmen, dass die jetzige Koalitionsmehrheit von CDU und FDP aus unserer Sicht eine unverantwortliche Entscheidung trifft. Ich spreche von der Verhinderung der Reaktivierung des Industriestammgleises, welches dringend für die Erweiterung und zusätzlicher Infrastruktur des Industrieparks benötigt wird. Seit vielen Jahren verhindert die Verwaltung mit der CDU die für die Wirtschaft dringende Anbindung an das Bahnnetz. Die Begründungen waren immer davon geleitet, dass man das Industriestammgleis nicht haben will. Jetzt sah es so aus, dass wir mit Unterstützung von ansässigen Firmen, doch noch eine positive Entscheidung erzielen könnten. Dieser Wunsch ging aber bisher nicht in Erfüllung. Dieses negative Verhalten müssen wir leider bei allen bahnrelevanten Themen feststellen. Bis auf die Streckenverbindung Bocholt –Wesel gibt es keine Anbindung in andere Richtungen. Dieses Verhalten gefährdet die Entwicklung unserer Stadt, sowohl was die Einwohner angeht als auch die Standortentscheidungen vieler Unternehmen.
Aber bei dieser, von Ihnen vorgelegten Geschwindigkeit, dürfen Sie die Bürgerinnen und Bürger nicht vergessen. Mit der CDU und FDP im Schlepp reißen Sie Gleise ab, obwohl die rechtlichen Rahmenbedingen das meines Erachtens nicht zulassen. Schließlich haben Sie selbst schon nach der Abstimmung im HFA befürchtet, dass die Entscheidung juristisch aufgearbeitet werden könnte.
Wenn Sie diese Bedenken schon vor der Entscheidung gehabt haben, warum dann diese Abstimmung? Dabei ist der Bocholter Industriepark eine der größten zusammen- hängenden Gewerbeflächen in NRW. Es ist also an der Zeit, hier dringend die Infrastruktur nach den aktuellen Kriterien aufzurüsten. Und dazu gehört selbstverständlich auch dringend eine Bahnverbindung.
Im Rahmen dieser Beratungen stellten wir fest, dass die Stadtverordnetenversammlung mit Ratsbeschluss aus 2012 den Bürgermeister bereits ermächtigt hatte, dieses besagte Industriegleis auf den Verein zur Erhaltung und Förderung des Schienenverkehrs Bocholt e.V. zu übertragen und die notwendigen haushaltstechnischen Voraussetzungen zu schaffen. Bis heute ist dieser Beschluss nicht umgesetzt worden, obwohl der Eisenbahnverein alle Auflagen erfüllt hat.
Das ist nur ein Beispiel von vielen, wie man in Bocholt zum Beispiel verhindert, die längst überfällige Bahnverbindung nach Münster über Borken zu reaktivieren. Diese Blockade ist unverantwortlich und muss aufgelöst werden, denn die Trassen sind NOCH vorhanden und die Landesmittel ebenfalls.
Die Landesregierung konzentriert sich aktuell darauf, den grünen Wasserstoff als Kraftstoff der Zukunft zu entwickeln. Damit eröffnen sich Chancen für alle Kommunen, auch für Bocholt.
Unser Industriepark wird erweitert. Dabei sollten die Auswirkungen des zukünftig erhöhten Lkw-Aufkommens in die Planungen einbezogen werden. Zu den Planungen gehören auch ein Autohof, evtl. der erste komplett überdachte „grüne Autohof“: mit Wasserstoff-Tankstellen für Pkw, Lkw, Busse und Züge. Weltweit entstehen Produkte für das „grüne Öl“, gefördert vom Bund, der EU und der Wirtschaft.
Der Autohof sollte natürlich nach modernsten und fortschrittlichsten Kriterien ausgestattet werden. Dazu gehören auch eine Kfz-Werkstatt, ein kleiner Supermarkt, ein Restaurant und ein Motel. Mir ist bekannt, dass hier viel Wunschdenken geäußert wird. Aber ist das alles in den nächsten Jahren so abwegig?
Ich komme zum nächsten Thema.
Rathaussanierung
Die Rathaussanierung wird uns noch lange beschäftigen. In erster Linie liegt es daran, dass die Verwaltung dem Rat den Bescheid über den Denkmalschutz für dieses Rathaus bewusst erst zur Kenntnis gebracht hat, als die Einspruchsfrist abgelaufen war. Dabei muss man wissen, dass die Obere Denkmalbehörde und die Untere Denkmalbehörde, die wesentlich an dieser Entscheidung beteiligt waren, ihren Amtssitz in unserem Rathaus haben, welches jetzt zur Disposition steht, in unmittelbarer Nähe beim Bürgermeister.
Das heißt, dass viele städt. Mitarbeiter den Vorgang zeitnah kannten, aber nicht dafür gesorgt haben, dass die Politik informiert wurde. Jetzt warten wir auf eine Kostenrechnung für die evtl. anstehende Sanierung. Die Stadtpartei befasst sich seit Jahren mit Alternativlösungen. Wenn sich eine Lösung in der Innenstadt, in der Nähe des Historischen Rathauses anbieten würde, wäre das die Krönung unserer Bemühungen. Hier bieten sich freiwerdende Räumlichkeiten der jetzigen Stadtsparkasse und den angegliederten Gebäuden bis zur Neustraße an.
Diese Überlegungen kommen aber nur zum Tragen, wenn der Denkmalschutz für das Rathaus aufgehoben wird. Die Stadtpartei glaubt daran und bereitet einen Antrag im Sinne des § 9 Denkmalschutzgesetzes NRW vor. Hier kommt auf die mitbestimmende „Unteren Denkmalbehörde“ mit Sitz in Bocholt eine besondere Verantwortung zu.
Euregio – Gymnasium
Wir alle waren doch mächtig überrascht, als vor Monaten und über Nacht plötzlich das Euregio-Gymnasium wegen fehlendem Brandschutz geschlossen werden musste. Die Sanierung und die Ersatzräumlichkeiten für den lfd. Schulbetrieb lösen Kosten im Millionenbereich aus. Die anschließenden Diskussionen in der GWB brachten die Erkenntnisse, dass das Euregio-Gymnasium kein Einzelfall ist und eine Vielzahl von Gebäuden keinen ausreichenden Brandschutz hat. Es stellte sich zusätzlich heraus, dass bei einigen, älteren städtischen Gebäuden bis heute keine abschließende Bauabnahme durchgeführt worden ist.
Das ist ein erschreckender und zugleich unhaltbarer Zustand und wirft auf die Verantwortlichen der vergangenen Jahre kein gutes Licht. Jetzt muss schnellstens für Abhilfe gesorgt werden. Aber dieses plötzliche Stilllegen von Objekten ist nicht neu. Ich erinnere in diesem Zusammen an das Brauhaus und die Zuschauertribüne vom 1.FC Bocholt oder ein Cafe in der Innenstadt.
Finanzsituation durch Corona
Abschließend macht es Sinn über die städtischen Finanzen zu sprechen. Die Corona-Situation verlangt unsere volle Aufmerksamkeit. Sie hat bisher schon dafür gesorgt, dass die Steuereinnahmen erheblich gesunken sind und außergewöhnliche Ausgaben bedient werden mussten.
Uns muss doch allen klar sein, dass bei dieser außergewöhnlichen Situation, einer evtl. für viele Jahre andauernden Krise, alles unternommen werden muss, unsere Stadt lebensfähig zu halten. Dabei sind dann natürlich auch Maßnahmen gefordert, die den Haushalt einigermaßen stabilisieren. Die Stadtpartei kommt in diesem Zusammenhang auf einen Antrag aus 2016 zurück, wo wir die Senkung des Gewerbesteuerhebesatzes in Form eines Prüfauftrages beantragt haben. Zu dem Zeitpunkt war der Rat noch nicht bereit, diesen ungewöhnlichen Weg mitzugehen. Diese antizyklische Maßnahme halten wir heute in der jetzigen Situation für gerechtfertigt. Selbst die Landesregierung greift zu haushaltstechnischen bzw. bilanztechnischen Maßnahmen, die normalerweise auf große Bedenken stoßen müssten.
Dagegen ist die Senkung des Gewerbesteuerhebesatzes außergewöhnlich, aber nicht rechtswidrig. Damit entlasten wir einerseits unsere Wirtschaft vor Ort und wecken andererseits das Interesse von noch nicht in Bocholt ansässigen Unternehmen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
als wir glaubten, wir hätten die Talsohle bereits durchschritten, befinden wir uns jetzt in dem 2. Schub mit einem noch größeren Ausmaß. Wir wissen zurzeit nicht, wo der Weg uns hinführt. Die Politik und die medizinischen Experten begleiten uns nach bestem Wissen und Gewissen. Keiner weiß konkret, wie es weitergeht. Wir alle warten auf den erlösenden Impfstoff und hoffen, dass es danach übersichtlicher und erträglicher wird.
Alles hat sich oder wird sich verändern. Unsere seit Jahrzehnten gelebten Gewohnheiten werden sich verändern. Der Mensch nimmt diese Veränderungen an und wird auch nicht, selbst wenn Corona evtl. vergessen ist, zu alten Gewohnheiten zurückfinden. Aber ich wünsche mir, dass das Zusammenleben und das gegenseitige Vertrauen und Helfen danach erhalten bleibt, so wie unsere Eltern das teilweise nach dem 2. Weltkrieg erleben durften.
Die Politik hat die Chance, sich auf diese Situation einzustellen und allen Bürgerinnen und Bürgern eine Basis zur Zufriedenheit zu schaffen. Beim Bürgermeister und seinem Stab, dem Pflegepersonal und den Ärzten möchte ich mich für das umsichtige Handeln in schwierigen Zeiten bedanken.
Vielen Dank und bleiben sie gesund.
Dieter Hübers“